Weihnachten 2012
Der verschmähte Weihnachtsbaum
Edith Reinhilde Raky © edition catpress 2012
Nachdruck und Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Verfassers
Der verschmähte Weihnachtsbaum
Ein kleiner Weihnachtsbaum lag allein und verwaist am Wegesrand. Seine Freunde, die anderen Weihnachtsbäume aus der Baumschule waren alle verkauft, nur er nicht. Er war krumm, dünn und hatte ein schütteres Nadelkleid. Seine Spitze war abgebrochen und ein Ast abgeknickt. Ein anderer Ast fehlte, und wieder an einem anderen waren überhaupt keine Nadeln mehr. Wenn er einen Spiegel gehabt hätte um hineinzuschaun, er hätte geweint bei seinem Anblick. Klar, daß ihn niemand mitnehmen wollte und klar, daß er als einziger in der Baumschule zurück gelassen wurde.
Der Wind wehte den kleinen Baum den Weg entlang bis er am Rande liegen blieb.
„Upps“, sagte Bruno, „willst du mich erschlagen, du Baum – oder was immer du sein magst?“ Der Kater schaute brummig drein. Er war auf der Suche nach einem zweiten Frühstück. Sein Magen knurrte ein wenig und ein kleines Mäuslein oder ähnliches hätte ihm die Laune gewiß erheblich aufbessern können.
Ganz schön frech, dachte er als ihm der kleine Baum vor die Füße flog. „Mach das nicht nochmal sonst werd ich sauer!“
Der kleine Baum schaute ihn traurig an und entschuldigte sich höflich.
„Ich wollte dir nicht weh tun, und ausserdem, ich war das gar nicht. Das war der Wind“. Er rollte sich wieder an den Wegesrand und seufzte vor sich hin.
„Du hast es aber schwer! Stöhnst, als wärst du der traurigste Weihnachtsbaum der Welt. Freu dich doch, heute ist Weihnachten und da gibt’s Geschenke.“ Bruno strahlte bei seinen eigenen Worten: Geschenke!!! Hmmm, die leckersten Köstlichkeiten.
„Warum sollte ich mich freuen? Schau mich an! Ich bin häßlich! Niemand will einen derart häßlichen Weihnachtsbaum. Niemand, nein niemand schmückt einen wie mich heute abend mit bunten Kugeln und Kerzen so wie all meine Weihnachtsbaumfreunde, mit denen ich hier in der Baumschule wohnte.“ Der Baum war unendlich traurig. Er schüttelte sich und wieder fielen die Nadeln von seinen Ästen.
„Halt, halt“, rief Bruno, „nicht schütteln, sonst bist du gleich nackt,“ er grinste in sich hinein. Einen nackten Weihnachtsbaum stellte er sich besonders lustig vor. “Warte hier und flieg nicht weg, ich frag meine Freunde. Vielleicht haben die ja eine Idee, wie wir dir helfen und aus dir einen glücklichen Weihnachtsbaum machen können.“
„Gut“, sagte der Baum, „hab eh nichts besseres vor, was sollte ich auch sonst machen?“ Mit einem kleinen Ast rieb er sich die Tränen aus den Augen und putzte seine Nase. „Wär schön, wenn dir etwas einfiele!“
Bruno trabte davon. Er hatte ganz vergessen, daß er ja eigentlich hungrig und auf Mäusejagd war. Man sollte dem Weihnachtsbaum helfen, dachte er. Ihn einfach hier so liegen zu lassen, nein, das wäre eine Schande. Bruno war ein äußerst praktischer Kater, er hasste Verschwendung.
Im Katzengarten wollte er jetzt seine Freunde treffen und die Angelegenheit „Weihnachtsbaum“ mit ihnen besprechen. Sicherlich hatte einer von ihnen eine Idee!
„Ich weiß, ich weiß“, sagte Kater Siegfried „du willst immer ein guter Pfadfinder sein, Bruno. Allzeit bereit und immer eine Gute Tat unterm Pelz, aber sei mal ehrlich, was willst du mit einem krummen, kahlen, ja nackten Weihnachts-baum ohne Spitze? Spazierstöcke könntest du draus machen, oder ein Feuerchen in eiskalten Winter-nächten???“
„Weihnachtsbaum? Weihnachtsbaum? Die Idee ist gar nicht so schlecht! Klingt verlockend!“ Linda-Lu strich sich mit der Pfote ihren Bart glatt. Ihre Augen funkelten. „Das wär doch mal was, wir Katzen mit einem eigenen Weihnachtsbaum im Katzenhaus! Wer hat das schon?“
„Miaouuuu, krasse Idee, Linda“ pfiff Streifchen „ich kenn jedenfalls keinen, der einen eigenen Katzenweihnachtsbaum hat! Nein! Wirklich krass! Wir sollten den Baum schmücken mit tollen Sachen, mal so richtig schräg katzenkitschig stylisch oder so. Los Kinder, laßt uns das Teil holen!“
Die Katzen eilten in die Baumschule. Der Weihnachtbaum lag immer noch am Wegesrand und seufzte vor sich hin, „keiner mag mich, keiner will mich haben!“
„Hör auf zu jammern“ rief Siegfried, „reiß dich zusammen und mach dich nicht so schwer. Wir bringen dich jetzt erstmal in unseren Katzengarten, dann sehen wir weiter!“
Zwei Katzen zogen nun kräftig an der abgebrochenen Spitze, Bruno stemmte sich von hinten gegen den Stamm des Baumes und endlich, nach einer halben Ewigkeit und unter Mithilfe von Kater Samson sowie den beiden Rebhühnern Chrischan und Bettina waren die Katzen im Katzengarten angekommen.
„Uff, das war ein hartes Stück Arbeit, jetzt hab ich Hunger“ rief Bruno, dem gerade wieder der knurrende Magen und das fehlende zweite Mäuse-Frühstück eingefallen war.
„Nichts da, es gibt noch nichts. Erst müssen wir den Baum aufstellen und schmücken“ insistierte Linda. Sie hatte sich schon ausgemalt, wie hübsch der Baum auch ohne Spitze und mit wenig Nadeln festlich geschmückt im Katzenhaus wirken würde. „An die Arbeit, Freunde, wir haben nicht viel Zeit. Jeder besorgt jetzt Christbaumschmuck und wenn der Baum fertig ist, feiern wir Weihnachten.“
Gesagt, getan, die Katzen eilten los und machten sich ans Werk. Jeder schleppte herbei, was er finden konnte, silberne Papierkugeln, bunte Bänder, glitzernde Schleifen, Alufolie, den Deckel einer Katzenfutterdose mit eingebautem Ring zum Aufhängen, Tannenzapfen, eine Spielzeugmaus und einen goldenen Stern. Den hatte Linda aufgetrieben. Die Katzen kletterten vorsichtig aufeinander, um den Stern auf die abgebrochene Spitze des Baums zu stecken. Um die kahlen Stellen im Baum zu verdecken befestigten sie dort Blätter und der fehlende Ast… nun ja, da schaute man einfach nicht hin.
„Toll ! Einfach Toll!“
Die Katzen waren begeistert und bestaunten ihr Werk. „Ein wunderhübscher Weihnachtsbaum!“ „Unser Katzenweihnachtsbaum“ ergänzte Linda.
Als es Abend geworden war setzten sich die Katzen an den festlich gedeckten Weihnachtstisch. Chrischan und Bettina kamen und auch die anderen Tiere des Katzengartens.
„Fröhliche Weihnachten“ riefen sie einander zu und umarmten sich.
Der kleine Baum strahlte und war überglücklich. Nun hatte er doch noch seine Bestimmung gefunden.
……….
Frohes Fest
© edition catpress 2012
Nachdruck und Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Verfassers
